Vorschusszinsen! Haben Sie mich verstanden?
In einer Zeit in ferner Vergangenheit, als es noch Sparbücher mit einer annehmbaren Verzinsung gab, konnte man bis zu DM 2.000 von seinem Sparbuch abheben. Für alles darüber hinaus musste man entweder rechtzeitig kündigen oder Vorschusszinsen bezahlen.
Heute würde man das vielleicht als Strafzins, Vorfälligkeitsentschädigung, Verwahrentgelt bezeichnen, damals war es der Vorschusszins. Wie der berechnet wurde, habe ich nie wirklich verstanden, es hatte mich auch nicht interessiert. Und alles was mich in interessierte, war für meinen Erinnerungsspeicher problematisch.
Mir reichte es zu wissen, dass es im Ergebnis weniger Zinsen gab und ich immer jemanden fand, der das für mich ausrechnen konnte.
Jedenfalls begab es sich, dass eines Tages vor Weihnachten eine alte Frau zu uns in die Sparkasse kam und an Leo K., ein oder zwei Lehrjahre nach uns, geriet. Leo hätte uns ein Vorbild sein können, wenn wir Interesse gehabt hätten. Hatten wir aber nicht!
Leo konnte schon im ersten Lehrjahr KWG, BGB, HGB und sonstige Gesetze auswendig runterbeten.
Meinem Freund Herbert und mir erschien es ziemlich überflüssig, Paragrafen zu lernen. Mit geringstmöglichem Einsatz das bestmögliche Ergebnis und dazu gehörten Gesetzestexte nun wirklich nicht.
Jedenfalls geriet die arme Frau an Leo. Ich stand nicht weit entfernt und war am überlegen, wie ich mich vor welcher Arbeit, die mir keinen Spaß machen würde und von der ich noch nicht wusste, ob sie auf mich zukam, drücken könnte. Dadurch kam ich in die Verlegenheit, das recht einseitige Gespräch der beiden mitzuhören.
Die Kundin, die sich im Laufe der Jahre sicherlich jeden Groschen vom Mund abgespart und auf die Sparkasse getragen hatte, wollte dreieinhalbtausend Mark abheben, um für die Enkel zu Weihnachten mal was richtig Schönes zu kaufen.
Da kam sie bei Leo aber an den Richtigen. Er ging in seinem Metier auf und hielt einen ellenlangen Vortrag, gespickt mit allen möglichen Paragrafen, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Die arme Frau, sowieso verschüchtert in der großen Schalterhalle, wurde immer kleiner und kleiner und auf die abschließende Frage: „Haben Sie das verstanden?“ konnte sie nur noch verzweifelt nicken und Richtung Ausgang schleichen.
Leo, stolz sein Wissen an die Frau gebracht zu haben, suchte sich ein neues Opfer, während ich mich nach vorne zum Ausgang machte. Und richtig, kam die Kundin noch mal zaghaft an den Tresen! Die gabs damals noch in der Bank.
„Bekomme ich mein Geld nicht mehr?“
„Doch natürlich, Sie bekommen nur weniger Zinsen!“
Auszahlungsbeleg unterschreiben lassen, im Sparbuch schon mal ausgetragen, was wir damals immer noch schön manuell gemacht hatten und vorsorglich mit zur Kasse gegangen.
Die Kundin war glücklich, ich fand es an der Zeit zu verschwinden, bevor mir jemand eine Arbeit zuteilen konnte und Leo weiß bis heute nicht, dass ich seinen Vortrag so gnadenlos unterlaufen hatte.
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